Politik

Europäischer Gerichtshof: Polen muss Gesetz zur Disziplinierung von Richtern aussetzen

Im Streit um die polnischen Justizreformen hat die Regierung in Warschau vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine weitere Niederlage erlitten. Die Luxemburger Richter gaben einem Antrag der EU-Kommission auf einstweilige Verfügung statt, wonach die Anwendung eines Gesetzes zur Disziplinierung von Richtern ausgesetzt werden muss. Ein endgültiges Urteil will das Gericht zu einem späteren Zeitpunkt fällen. In ihrer Begründung für die einstweilige Verfügung hatte die EU-Kommission bemängelt, dass die von der polnischen Regierung eingesetzte Disziplinarkammer nicht unabhängig sei. Diese Sorge sei „nicht ohne ernsthafte Grundlage“, so der EuGH heute (Rechtssache C-791/19 R).

Disziplinarkammer kann Richter und Staatsanwälte entlassen

Vor drei Jahren erließ die nationalkonservative PiS-Regierung ein neues Disziplinarrecht für die Richter des Obersten Gerichts und der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Im europäischen Ausland wurden weite Teile der Öffentlichkeit darauf aufmerksam, nachdem 2018 auch eine Senkung des Rentenalters am Obersten Gericht beschlossen worden war. Richter, die sich dagegen wehren wollten, sollten sich an die neu geschaffene Disziplinarkammer wenden. Deren Mitglieder schlägt der Landesjustizrat vor. Dieses Gremium wählt die meisten Richterkandidaten im Land aus und steht selbst unter dem Einfluss der Legislative und der Exekutive. Die endgültige Entscheidung über die Zusammensetzung der Disziplinarkommission trifft dann der polnische Präsident.

INFO-BOX:
Prawo i Sprawiedliwość (PiS)
Die Prawo i Sprawiedliwość ("Recht und Gerechtigkeit") wurde 2001 vom damaligen Justizminister Lech Kaczyński und seinem Zwillingsbruder Jarosław gegründet. Sie gilt als gemäßigt EU-skeptisch und wird als nationalkonser-vativ, christdemokratisch und (rechts-)populistisch charakterisiert.
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Die Disziplinarkammer hat zudem das Recht, jeden Richter oder Staatsanwalt bei „Fehlverhalten“ zu entlassen. Aus Sicht des Obersten Gerichts in Polen verstößt die Kammer dadurch gegen polnisches und europäisches Recht. Inzwischen hat die PiS ein weiteres Gesetz zur Richterdisziplinierung verabschiedet und in Kraft gesetzt. Auch dagegen hegt die EU-Kommission Bedenken, hat aber noch kein Verfahren eingeleitet.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Europäische Gerichtshof mit den polnischen Justiz-Reformen befassen muss. Erst vor kurzem hatte der EuGH erklärt, aus formellen Gründen nicht über die polnischen Disziplinarverfahren selbst zu entscheiden. Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatte die EU-Kommission eine Vertragsverletzungsklage gegen Polen erhoben und beantragte zuletzt eine einstweilige Anordnung, der die Richter nun stattgaben. Danach muss Polen die Arbeit der Disziplinarkommission „unverzüglich aussetzen“. Das Eilverfahren könne zwar das Ergebnis im Hauptverfahren nicht vorwegnehmen, doch würde die Arbeit einer nicht unabhängigen Disziplinarkammer „einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden für die Unionrechtsordnung verursachen“. Eine finanzielle Sanktion ist mit dieser Entscheidung im Übrigen erst einmal nicht verbunden. Eine solche will die EU-Kommission erst beantragen, sollte die polnische Regierung der Forderung des EuGH nicht Folge leisten.

Kaleta: EuGH-Entscheidung verletzt die Souveränität Polens

Warschau zeigte sich allerdings bislang bei allen vorangegangenen Entscheidungen des höchsten europäischen Gerichts wenig einsichtig. Auch nicht im Fall des jüngsten Richterspruchs. Die Entscheidung verletze die Souveränität Polens, schrieb der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta auf Twitter. Der EuGH habe in dieser Angelegenheit keine Kompetenz. Die EU-Kommission begrüßte hingegen das Urteil. „Unabhängige Richter sind der Schlüssel für Demokratie und Rechtsstaat“, sagte Vize-Kommissionspräsidentin Vera Jourova. Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, ergänzte: „Sollte die polnische Regierung ihren Raubbau am Rechtsstaat fortsetzen, dürfte es nicht ihre letzte Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof bleiben“. Es sei wichtig, dass die EU-Kommission den Druck auf Warschau weiterhin hoch halte.

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Ralf Schmidl

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