home Politik Kreml-Kritiker Alexej Nawalny laut Bundesregierung mit Nowitschok vergiftet

Kreml-Kritiker Alexej Nawalny laut Bundesregierung mit Nowitschok vergiftet

Der in der Berliner Charité in Behandlung befindliche russische Regierungskritiker Alexej Nawalny ist vergiftet worden. Nach Angaben der Bundesregierung habe eine Untersuchung den „zweifelsfreien Nachweis“ eines chemischen Nervenkampfstoffes aus der Nowitschok-Gruppe erbracht. Die toxikologische Analyse habe ein Spezial-Labor der Bundeswehr auf Veranlassung der Charité vorgenommen. „Es ist ein bestürzender Vorgang, dass Alexej Nawalny in Russland Opfer eines Angriffs mit einem chemischen Nervenkampfstoff geworden ist“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

Regierung berät mit Partnern über gemeinsame Reaktion

INFO-BOX:
Nowitschok
Nowitschok („Neuling“) ist eine Gruppe stark wirksamer Nervengifte und -kampfstoffe, die ab den 1970er-Jahren in der damaligen Sowjetunion entwickelt wurden. Es blockiert die Produktion des Enzyms Cholinesterase, welches wichtig für den Abbau des Neurotrans-mitters Acetylcholin ist. Wird dieses nicht mehr abgebaut, wird das Nervensystem ungehemmt mit Reizen überflutet. Die unkontrollierten Nerveninformationen prasseln dann auf Körpergewebe, Muskeln und Organe ein. Dadurch kommt es u.a. zu Atemproblemen. Hält die Vergiftung zu lange an, kann diese tödlich sein.
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Die Bundesregierung verurteilte den Angriff auf das Schärfste. Die russische Regierung sei dringlich aufgefordert, „sich zu dem Vorgang zu erklären“. Der russische Botschafter sei ins Auswärtige Amt „eingeladen“ worden, wo man ihm „nochmals unmissverständlich“ klargemacht habe, dass Russland die Umstände vollumfänglich und transparent aufklären müsse, so Bundesaußenminister Heiko Maas. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich mit den Ministerinnen und Ministern der Ressorts Finanzen, Außen, Innen, Justiz und Verteidigung sowie dem Chef des Bundeskanzleramts Helge Braun am Mittwoch hierzu beraten und weitere Schritte abgestimmt, sagte Seibert. Ferner wolle die Bundesregierung ihre Partner in der EU sowie der NATO informieren und über eine „angemessene gemeinsame Reaktion beraten“. Auch werde man mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) Kontakt aufnehmen.

Die Reaktion werde auch im Lichte dessen ausfallen, wie Russland sich nun verhalte. Moskau sollte selbst ein ernsthaftes Interesse an guten Beziehungen zu seinen europäischen Nachbarn haben, so Außenminister Maas. Es sei nun an der Zeit, dafür einen Beitrag zu leisten. In einem vertraulichen Briefing für ausgewählte Verteidigungs- und Außenpolitiker des Bundestags machte die Bundesregierung keinen Hehl daraus, dass man staatliche Stellen in Russland als Täter vermutet. So verneinten die Regierungsvertreter eindeutig die Nachfrage eines Abgeordneten, ob beispielsweise Kriminelle ein solches Gift auch im Keller oder einem gut ausgestatten Labor herstellen könnten.

Mit Nowitschok wurden 2018 auch der russische Ex-Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter vergiftet. Beide überlebten den Anschlag im britischen Salisbury nur knapp. Eine unbeteiligte Frau, die ebenfalls mit dem Gift in Kontakt kam, verstarb hingegen an den Folgen. Großbritannien und andere westliche Staaten machten damals ebenfalls Russland für den Anschlag verantwortlich. Die Regierung in Moskau wies jedoch jegliche Beteiligung zurück. Dennoch wiesen westliche Staaten als Reaktion mehr als 100 russische Diplomaten aus. Russland reagierte mit dem Rauswurf westlicher Abgesandter in gleicher Höhe.

Nawalny liegt weiter im künstlichen Koma

Alexej Nawalny war am 20. August auf einem Flug in seiner Heimat plötzlich ins Koma gefallen und zunächst in Omsk untersucht worden. Anschließend wurde er auf Drängen seiner Familie nach Berlin ausgeflogen. Die deutschen Ärzte gingen nach einer Auswertung von klinischen Befunden bereits frühzeitig davon aus, dass der Kreml-Kritiker einem Giftanschlag zum Opfer fiel. Am vergangenen Freitag gab die Charité bekannt, dass sich die Vergiftungssymptome bei Nawalny zurückbildeten. Sein Zustand sei stabil, er befinde sich weiter im künstlichen Koma und werde maschinell beatmet. Akute Lebensgefahr bestehe nicht. Mögliche Langzeitfolgen der „schweren Vergiftung des Patienten“ seien derzeit aber noch nicht absehbar.