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Studie enthüllt jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch im Bistum Mainz

Eine vom Bistum Mainz in Auftrag gegebene und am Freitag veröffentlichte Studie hat enthüllt, dass über Jahrzehnte hinweg Fälle sexueller Gewalt im Bistum nicht konsequent verfolgt, teilweise verschwiegen und verharmlost wurden. Die Autoren um den Regensburger Rechtsanwalt Ulrich Weber erklärten auf einer Pressekonferenz, dass das Bistum durch unangemessenen Umgang und mangelnde Kontrolle sexuellen Missbrauch begünstigt habe. Pfarrgemeinden hätten durch Solidarisierung mit den Beschuldigten und der Diskreditierung von Opfern eine Aufklärung erschwert und weitere Vorfälle ermöglicht.

Oper im Alter von drei bis 62 Jahren

INFO-BOX:
Bischöfe von Mainz
seit 1802
1802-1818: Joseph Colmar
1830-1833: Joseph Burg
1833-1834: Johann Humann
1834-1848: Peter Kaiser
1850-1877: W. von Ketteler
1886-1899: Paul Haffner
1899-1903: Heinrich Brück
1904-1921: Georg Kirstein
1921-1935: Ludwig Hugo
1935-1961: Albert Stohr
1962-1982: Hermann Volk
1983-2016: Karl Lehmann
seit 2017: Peter Kohlgraf
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Für die Studie wurden seit 2019 rund 25.000 Seiten an Akten- und Archivmaterial untersucht sowie 246 persönliche, schriftliche oder telefonische Gespräche geführt. Dabei habe man für den Zeitraum von 1945 bis 2019 zunächst 657 Betroffene und 392 Beschuldigte ausgemacht. Letztlich blieben für die weitere Untersuchung 401 Betroffene und 181 Beschuldigte übrig, so Weber. Die meisten der Beschuldigten sind laut der Studie männlich, zwei Drittel von ihnen Kleriker. Das Tatspektrum erstrecke sich von einer sexualbezogenen Grenzverletzung bis hin zu besonders schweren Straftaten. Von den Betroffenen sind rund 60 Prozent männlich, 72 Prozent der Opfer mussten mehrfache Übergriffe erleiden, überwiegend über ein bis zwei Jahre. Die Opfer waren zwischen drei und 62 Jahre alt. Ein Schwerpunkt liege im Kommunionalter bei zehn Jahren, ein weiterer bei „postpubertären Jugendlichen“ mit 14 bis 15 Jahren.

Die Hälfte der Betroffenen wurde Opfer einer schweren oder besonders schweren Straftat. Schwere und besonders schwere Straftaten seien überwiegend bis Anfang der 1990er Jahre verübt worden. Häufig sei es bei Freizeiten oder Reisen, im privaten Umfeld oder im Pfarrhaus zu Taten gekommen, rund jede vierte Meldung von Betroffenen sei erst mehr als 30 Jahre nach dem Vorfall erfolgt. Oft sei die Beziehung zwischen Beschuldigtem und Betroffenen von Macht und Vertrauen geprägt gewesen. „Pädophilie ist nur bei einem geringen Teil der Beschuldigten Ursache für die Taten“, sagte Weber.

Harte Kritik an Bischöfen Volk und Lehmann

Hart ins Gericht gingen die Studienautoren unter anderem mit den früheren Mainzer Bischöfen Hermann Kardinal Volk (1962-1982) und Karl Kardinal Lehmann (1983-2017). Die Zeit unter Volk sei ein Schwerpunkt für solche Taten gewesen. Auch Lehmann, der von 1987 bis 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war, habe den Umgang mit Fällen sexueller Gewalt nie als Chefsache angesehen. Es sei in den Lehmann-Jahren von 2010 bis 2017 ein erheblicher Gegensatz zwischen seinem öffentlich-medialen Auftreten und der persönlichen Einstellung sowie dem persönlichen Handeln erkennbar gewesen. „Seinen mit eigenen Worten formulierten Anspruch für den Umgang mit sexueller Gewalt in der katholischen Kirche im Bistum Mainz hat er selbst zu keiner Zeit erfüllt“, so Weber. Dem heutigen Bischof Peter Kohlgraf sprechen die Studienautoren Ulrich Weber und Johannes Baumeister indes die Bereitschaft zu, lernen und aufarbeiten zu wollen. Kohlgraf nehme die Vorwürfe sehr ernst und verhalte sich im Umgang mit Beschuldigten sehr konsequent.

In einem ersten Statement bezeichnet Bischof Kohlgraf die Ergebnisse der Studie als „erschütternd“ und entschuldigte sich bei allen Opfern. Er kündigte an, dass das Bistum nun alle nötigen Schritte unternehmen werde, um den Betroffenen zu helfen und die Aufklärung voranzutreiben. Konkrete Maßnahmen nannte er dabei nicht. Er räumte jedoch ein, dass es unter seinen unmittelbaren Amtsvorgängern zu großen Verfehlungen und Versäumnissen gekommen war. Dieses Versagen dürfe bei der Bewertung des Lebens der früheren Bischöfe nicht ausgespart werden: „Um der Wahrheit für die Betroffenen willen darf es keine unantastbaren Denkmäler mehr geben. Das gilt für Kardinäle und Bischöfe, das gilt auch für Denkmäler anderer Ebenen“. Ausführlich will sich Kohlgraf erst am 8. März zu der Studie äußern.