home Politik, Wirtschaft Harte Verhandlungen mit der EU: Premier Johnson droht mit No-Deal-Brexit

Harte Verhandlungen mit der EU: Premier Johnson droht mit No-Deal-Brexit

Im Brexit-Streit erwartet der britische Premierminister Boris Johnson nach eigenen Angaben nun einen harten Bruch ohne Vertrag mit der Europäischen Union (EU) am 1. Januar kommenden Jahres. Die EU habe offenkundig kein Interesse an einem von Großbritannien gewünschten Freihandelsabkommen wie mit Kanada, sagte Johnson am Freitag in London. Dementsprechend erwarte man nun eine Beziehung wie mit Australien, also ohne Vertrag. Gleichwohl ließ sich der Premier eine Hintertür offen, doch noch weiter mit der EU über einen Handelspakt zu verhandeln. Dafür müsse die EU allerdings ihre bisherige Haltung ändern, sagte Johnson in einem im Fernsehen übertragenen Statement.

Johnson hatte EU Ultimatum bis zum 15. Oktober gesetzt

Johnson hatte eigentlich eine Einigung bis zum EU-Gipfel am 15. Oktober verlangt, was jedoch nicht gelang. Danach erwog er den Abbruch der Verhandlungen. Eine glasklare Entscheidung verkündete er nun aber nicht, sondern kündigte die Vorbereitung auf einen No-Deal-Brexit an. Nun sei der Zeitpunkt gekommen, dass sich britische Unternehmen, Logistiker und Reisende auf einen harten Bruch vorbereiten sollten, so Johnson. Großbritannien werde „als unabhängige Freihandelsnation prosperieren, indem wir unsere eigenen Grenzen und unsere Fischerei kontrollieren und unsere eigenen Gesetze festlegen“. Die EU hatte Johnson hingegen nochmals intensivierte Verhandlungen innerhalb der kommenden zwei bis drei Wochen angeboten. Gleichzeitig verlangte der EU-Gipfel aber Zugeständnisse von London, worauf die britische Regierung enttäuscht reagiert hatte.

Außenminister Raab: „Nur noch zwei strittige Fragen“

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Vor Johnsons Ansprache hatte sich der britische Außenminister Dominic Raab optimistischer geäußert. Seinen Angaben zufolge sei ein Handelspakt zwischen der EU und Großbritannien trotz aller Differenzen in Sicht. „Wir sind nah dran“, sagte Raab gegenüber dem Sender „Sky News“. „Es bleiben nur noch zwei strittige Fragen“. Daher sei man „überrascht“ und „enttäuscht“ von der harten Linie der EU und der Forderung, nur Großbritannien sollte Zugeständnisse machen. Umstritten ist weiterhin, wie viele Fische EU-Länder in britischen Gewässern fangen dürfen. Außerdem herrscht Uneinigkeit über das sogenannte Level Playing Field, bei dem es um gemeinsame Marktstandards geht. Hier will Brüssel gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäische und britische Firmen durchsetzen. Dies würde beispielsweise regulieren, wie stark Großbritannien heimische Unternehmen subventionieren darf, ohne dass europäischen Wettbewerbern dadurch Nachteile entstünden.

Wichtig für die EU sind außerdem Regeln zur Schlichtung für den Fall, dass eine Seite gegen das Abkommen verstößt. Das rückte zuletzt in den Vordergrund, da ein britisches Gesetz Teile des bereits gültigen EU-Austrittsvertrags aushebeln soll. Dabei geht es um Sonderregeln für den britischen Landesteil Nordirland. Brüssel reagierte empört auf das sogenannte Binnenmarktgesetz.

Wirtschaft warnt vor erheblichen Folgen

Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte indes eine Lösung der Streitpunkte an. „Wir haben Großbritannien gebeten, im Sinne eines Abkommens weiter kompromissbereit zu sein“, sagte sie am Rande des EU-Gipfels in Brüssel. Dies schließe auch Zugeständnisse der Europäer ein. Man wisse, „dass Großbritannien ein gewisses Maß an Unabhängigkeit haben möchte“. Jedoch habe jeder seine „roten Linien“. Für die EU sei wichtig, dass der Frieden in Irland gewahrt und der Binnenmarkt gesichert sei. Die britischen Wähler hatten vor vier Jahren mit knapper Mehrheit für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU gestimmt. Johnson gewann 2019 die Parlamentswahl unter anderem mit der Ansage, den Brexit tatsächlich durchzuziehen. Bis zum Jahresende ist das Land weiterhin Mitglied im EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Erst danach drohten ohne Vertrag Zölle und hohe Handelshürden. Die Wirtschaft auf beiden Seiten warnte die Politik bereits vor erheblichen Verwerfungen. Einbußen seien bereits jetzt zu spüren.