home Panorama Umfrage: Mehr als 1.400 Missbrauchsfälle in katholischen Orden

Umfrage: Mehr als 1.400 Missbrauchsfälle in katholischen Orden

Mindestens jeder dritte katholische Orden in Deutschland sieht sich mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen konfrontiert. Eine Mitgliederbefragung der Dachorganisation Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK) ergab, dass sich bei den Ordensgemeinschaften mindestens 1.412 Personen gemeldet haben, die angaben, als Kind oder Jugendlicher Opfer sexualisierter Gewalt geworden zu sein. Von diesen waren rund 80 Prozent männlich und etwa 20 Prozent weiblich. Auch unter den Beschuldigten seien Männer stark überrepräsentiert.

Rund 80 Prozent der Beschuldigten bereits verstorben

INFO-BOX:
Ordensgemeinschaft
Ein Orden ist eine durch eine Ordensregel verfasste Lebensgemeinschaft von Männern oder Frauen, die sich durch die Profess (Gelübde) an ihre Lebensform binden und ein geistliches Leben in Gemeinschaft, zumeist in einem Kloster, führen. Der älteste Orden des westlichen Ordenslebens ist der Benediktinerorden (gegründet 529 n. Chr.). Erst deutlich später folgten beispielsweise Zisterzienser (1098), Franziskaner (1209) oder Dominikaner (1216).
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Die Vorfälle reichten den Angaben zufolge teilweise bis in die 1950er- und 1960er-Jahre zurück. Damals wurden noch viele Schulen und Internate von Patern oder Nonnen geleitet. Insgesamt 654 Ordensmitglieder wurden als Täter beschuldigt, davon seien 522 (also knapp 80 Prozent) bereits verstorben. 37 Beschuldigte sind aus ihrem Orden ausgetreten. Die DOK betonte, dass es sich bei der Veröffentlichung lediglich um eine interne Umfrage und nicht um eine wissenschaftliche Studie handele. „Ja, Brüder und Schwestern unserer Gemeinschaften haben sexuellen Missbrauch in seinen verschiedenen Formen verübt“, sagte die DOK-Vorsitzende, Schwester Katharina Kluitmann, bei der Vorstellung der Ergebnisse am Mittwoch.

Aber nicht nur die Taten hätten „unsägliches Leid“ über die Betroffenen gebracht. Auch der Umgang mit ihnen und ihren Berichten habe die Menschen erneut verletzt. „Wir bedauern das sehr und erkennen unser Versagen erneut an“. Mit stockender Stimme fuhr sie fort: „Wir sind vor allem den Betroffenen dankbar“. Sie hätten unbequeme Fragen gestellt, und auf diese Kritik sei man angewiesen. Die Betroffenenorganisation „Eckiger Tisch“ bezeichnete die späte Bekanntmachung der Zahlen hingegen als Skandal. „Zehn Jahre haben die Jesuiten, Redemptoristen, Salesianer, Franziskaner und all die anderen Orden für diese Feststellung gebraucht“. Man habe bewusst so lange ungehindert nichts unternommen „wohl in der Hoffnung, dass die Opfer irgendwann resignieren oder sterben, so wie viele der Täter“. Alle Aktenbestände der Ordensgemeinschaften müssten jetzt gesichert, den Staatsanwaltschaften zur Verfügung gestellt und einer baldigst einzurichtenden zentralen Aufarbeitungskommission zugeleitet werden.

Zahlreiche zu behebende Schwachstellen in den Orden

Der Missbrauchsbeauftrage der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und Bischof von Trier, Stephan Ackermann, erklärte am Mittwoch in Bonn, die Betroffenen erwarteten „einen einheitlichen Umgang“ sowie ein transparentes Vorgehen der katholischen Kirche mit diesen Fragen. Zugleich begrüßte er die „deutliche Willensbekundung der Orden“ zur weiteren Zusammenarbeit mit der DBK. Außerdem sicherte er seitens der Bischöfe zu, bereits praktizierte Kooperationen „wo immer möglich“ fortzusetzen, zu verstärken und auch die Orden zu unterstützen. Viele Ordensgemeinschaften hätten bereits umfangreiche Strukturen zur Aufarbeitung und Prävention etabliert und sich dem Thema gestellt. Es würden zudem noch zu behebende Schwachstellen benannt. Dazu gehörten ein noch sensiblerer, verlässlicherer Umgang mit den Betroffenen und die Notwendigkeit einer Professionalisierung der Aktenführung. Hinzu komme eine flächendeckende Benennung von Ansprechpersonen und die Erstellung von Schutzkonzepten.