home Politik Streit um Nordirland: EU leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien ein

Streit um Nordirland: EU leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien ein

Die Europäische Union hat ein Verfahren gegen Großbritannien wegen Verletzung des EU-Austrittsvertrages eingeleitet. Dies teilte die EU-Kommission am Montag in Brüssel mit. Hintergrund ist ein Streit über die Brexit-Sonderregeln für die britische Provinz Nordirland. Die EU wirft London vor, Vereinbarungen eigenmächtig zu ändern und so gegen den 2019 ausgehandelten Vertrag zu verstoßen. Das Vertragsverletzungsverfahren dürfte die ohnehin angespannten Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien weiter belasten.

Großbritannien verlängert eigenmächtig Übergangsphase

INFO-BOX:
Nordirlandkonflikt
Mit der Teilung der Insel 1921/22 verblieb Nord-irland bei Großbritannien, während sich im Süden die heutige Republik Irland formierte. Bis heute versuchen mehrheitlich protestantische Unionisten bzw. Loyalisten die Bindungen an Großbritannien aufrechtzuerhalten, während die mehrheitlich katholischen Nationalisten bzw. Republikaner die Vereinigung mit der Republik Irland anstreben. Der Bürgerkrieg von 1968-1998 wurde hauptsächlich durch die politische und wirtschaftliche Diskriminierung der katholischen Minderheit durch die protestantische Mehrheit entfacht. Mehr als 3.600 Menschen verloren dabei ihr Leben.
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Das sogenannte Nordirland-Protokoll im Austrittsvertrag sieht vor, dass einige Regeln des EU-Binnenmarktes für Nordirland weiter gelten. Dies soll Kontrollen an der Landesgrenze zum EU-Staat Irland auf der gemeinsamen Insel überflüssig machen. Allerdings entsteht hierdurch eine Warengrenze zwischen Nordirland und dem übrigen Großbritannien. Einfuhren müssen dort kontrolliert werden. Obwohl einige Monate Schonfrist mit verringerten Kontrollen vereinbart wurden, klagen Unternehmen über Probleme. In Nordirland blieben so zeitweise Supermarktregale leer.

Die erste Übergangsphase nach Vollzug des Brexit zum Jahreswechsel sollte nun Ende März vorbei sein. Danach sollten Lieferanten tierischer Produkte Gesundheitszertifikate für Lieferungen von Großbritannien nach Nordirland haben. Die britische Regierung kündigte nun aber eine einseitige Verlängerung der Übergangsregeln bis Oktober an. Als Grund nannte man „oft übermäßige Konsequenzen“ des Nordirland-Protokolls. Krisengespräche der EU mit Großbritannien halfen nichts. Wenige Tage später schuf London erneut vollendete Tatsachen und suspendierte ein Importverbot für Pflanzen, die in Erde aus Großbritannien eingetopft sind.

Der zuständige EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic hatte der britischen Regierung daraufhin Vertrags- und Vertrauensbruch vorgeworfen. Auch die irische Regierung äußerte sich empört. Der britische Brexit-Beauftragte David Frost nannte die Maßnahmen hingegen „rechtmäßig“ und sprach von „vorübergehenden, operativen Schritten“. Für Großbritannien sind die Nordirland-Regeln politisch heikel, weil sich die Provinz vom Rest des Vereinten Königreichs abgekoppelt fühlen könnte. London hatte im Herbst versucht, dies mit einem sogenannten Binnenmarktgesetz auszuschließen. Auch dies sah Brüssel als Vertrags- und Vertrauensbruch und leitete ein Verfahren ein. Der Konflikt wurde letztlich beigelegt und das Gesetz zurückgezogen.

In Nordirland bekämpften sich jahrzehntelang Befürworter eines unabhängigen vereinten Irlands und Anhänger der Union mit Großbritannien. Der Konflikt konnte erst mit dem Karfreitagsabkommen von 1998 entschärft werden. Danach wurden beide Teile der Insel ein gemeinsamer Wirtschaftsraum ohne sichtbare Grenze. Die Befürchtung ist nun, dass der Brexit die Insel erneut teilt.

EU: London beschränkt Export von AstraZeneca-Impfstoff

Zwischen London und Brüssel wird der Ton in den letzten Wochen also zunehmend rauer. Zuletzt geriet man auch im Konflikt um Corona-Impfstoff aneinander. EU-Ratspräsident Charles Michel warf Großbritannien vor, einen Exportstopp verhängt zu haben. London wies dies empört zurück. Dabei geht es vor allem um das Mittel des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca, der großen Mengen in Großbritannien herstellt und dort auch liefert. Seine vereinbarten Lieferverpflichtungen an die EU hält das Unternehmen hingegen nicht ein und verweist unter anderem auf Exportbeschränkungen. Möglicherweise wird man in der EU aber bald gar nicht mehr die vereinbarten Mengen dieses Vakzins benötigen. Nach Todesfällen, die möglicherweise in Zusammenhang mit der Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin stehen, haben zahlreiche Länder die Verimpfung des Impfstoffs bis auf Weiteres ausgesetzt. Dazu gehört seit Montag auch Deutschland. Weitere Untersuchungen durch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) sollen nun für Aufklärung sorgen.