home Panorama, Politik Spionage-Vorwürfe: Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange beginnt in London

Spionage-Vorwürfe: Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange beginnt in London

Am Montag begannen vor einem Londoner Gericht die Anhörungen im Verfahren um die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange an die Vereinigten Staaten. Washington verlangt seit Jahren eine Überstellung des 48-jährigen Australiers wegen Spionage. Assange habe das Leben von Menschen in Gefahr gebracht, indem er Material verbreitet habe, das auch in Teilen nicht unkenntlich gemacht worden sei, begründete US-Anwalt James Lewis den Auslieferungsantrag. Die Behauptung, in den USA könnten Assange bis zu 175 Jahre Haft drohen, wies Lewis hingegen als Übertreibung zurück.

Vater: Assange wiegt „vielleicht noch 50 Kilo“

INFO-BOX:
WikiLeaks
Die Enthüllungsplattform WikiLeaks wurde 2006 nach eigener Darstellung von Dissidenten, Journalisten, Mathematikern und Technikern von Start-up-Unternehmen aus den USA, Taiwan, Europa, Australien und Südafrika gegründet. Später wurden jedoch Zweifel an dieser Darstellung laut. Initiator und treibende Kraft in einer Gruppe von fünf Personen und diversen Unterstützern zu Beginn des Projekts war Julian Assange. WikiLeaks selbst sieht seine Ziele darin, denen zur Seite stehen zu wollen, „die unethisches Verhalten in ihren eigenen Regierungen und Unternehmen enthüllen wollen“. Das System, über das das Hochladen von Dateien ermöglicht wird, wird über das Anonymisierungs-netzwerk Tor realisiert.
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Der Australier hatte über seine Enthüllungsplattform WikiLeaks (siehe auch Info-Box) Hunderttausende geheime US-Berichte und Diplomatendepeschen veröffentlicht, die ihm von Whistleblowern zugespielt wurden. Auch habe Assange sich mit der IT-Spezialistin und ehemaligen Angehörigen der US-Streitkräfte, Chelsea Manning, verschworen, um Rechner des Verteidigungsministeriums zu hacken. Die USA werfen ihm deshalb in 18 Anklagepunkten unter anderem Verstoß gegen ein Spionagegesetz vor. Assange selbst hatte erklärt, das Auslieferungsersuchen sei rein politisch von denjenigen motiviert, die durch seine Veröffentlichungen in Erklärungsnot geraten seien.

Edward Snowden, ebenfalls Whistleblower und seit mehr als sechs Jahren im Moskauer Exil lebend, warnte vor einer Auslieferung von Assange an die USA. Er bezweifle, dass der Australier in den Vereinigten Staaten einen fairen Prozess erwarten könne, sagte der dem „Spiegel“. So sei es kein Zufall, dass Assange in Virginia vor Gericht gestellt werden solle, denn dort wohnten weit überdurchschnittlich viele Angehörige der US-Regierung und ihrer Geheimdienste. „Praktisch jeder ‚Staatsfeind‘ der USA wird dort angeklagt“, so Snowden. Es sei offensichtlich, dass bereits „aktiv daran gearbeitet“ werde, einen Schuldspruch gegen Assange zu erzielen.

Nach einem schwedischen Haftbefehl wegen angeblicher Vergewaltigung zweier Frauen flüchtete Assange im Juni 2012 in die Botschaft Ecuadors in London, da er fürchtete, Schweden könne ihn an die USA ausliefern. Trotz politischem Asyl in Ecuador weigerte sich die britische Regierung, Assange nach Quito ausfliegen zu lassen. Der Australier blieb bis April vergangenen Jahres in der Botschaft, ehe Ecuador ihm den Schutz entzog und er in ein Hochsicherheitsgefängnis in London gebracht wurde. Vor dem Gerichtsgebäude protestierten indes zahlreiche Demonstranten gegen eine mögliche Auslieferung von Assange, darunter Prominente wie die Modedesignerin Vivienne Westwood. Assanges Vater John Shipton prangerte vor Beginn der Anhörung eine „Unterdrückung des Journalismus“ an und warnte, dass anderen Journalisten dasselbe Schicksal drohe, „sollte diese politische Auslieferung von Julian Assange erfolgreich sein“. Zudem sprach Shipton über den schlechten Gesundheitszustand seines Sohnes. Dieser wiege „vielleicht noch 50 Kilo“ und habe Probleme mit Schultern und Zähnen.

Reporter ohne Grenzen sieht Angriff auf Pressefreiheit

Unterstützung erhält Assange auch vom Europrat sowie von der Organisation Reporter ohne Grenzen. Diese wird nach eigenen Angaben Prozessbeobachter nach London schicken. Die Organisation warnte vor einem „Angriff auf die Pressefreiheit. Assanges Ergebnisse gehören an die Öffentlichkeit“, sagte Geschäftsführer Christian Mihr. Nur im ersten Schritt sei die Entscheidung über die Auslieferung in die USA juristisch. „Aber es ist auch eine politische Entscheidung – und das ist sehr problematisch“. Vor massiven Eingriffen in die Presse- und Meinungsfreiheit warnte auch der UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer. Im Falle von Assange gehe es nicht „um ein Einzelschicksal, sondern um die Zukunft unserer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“. Mit einer Entscheidung über eine Auslieferung rechnen Beobachter frühestens Mitte des Jahres.