Die EU-Kommission hat am Mittwoch ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Es bezieht sich auf das umstrittene Gesetz zur Disziplinierung von Richtern, das am 14. Februar in Kraft trat. Dieses untergrabe die Unabhängigkeit polnischer Richter und sei nicht mit dem Primat europäischen Rechts vereinbar, so Kommissions-Vizepräsidentin Vera Jourova. Zudem bestehe das Risiko, dass das Gesetz „unter anderem zur politischen Kontrolle des Inhalts von Gerichtsentscheidungen verwendet werden“ könne. Richter aus anderen EU-Staaten müssten sich aber auf die Unabhängigkeit der polnischen Kollegen verlassen können.
1. Polnische Regierung zeigte bislang wenig Einsicht
2. Vorerst kein Verfahren gegen ungarisches Notstandsgesetz
Polnische Regierung zeigte bislang wenig Einsicht
Prawo i Sprawiedliwość (PiS) |
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Die Prawo i Sprawiedliwość ("Recht und Gerechtigkeit") wurde 2001 vom damaligen Justizminister Lech Kaczyński und seinem Zwillingsbruder Jarosław gegründet. Sie gilt als gemäßigt EU-skeptisch und wird als nationalkonser-vativ, christdemokratisch und (rechts-)populistisch charakterisiert. |
Das jetzt angeschobene Vertragsverletzungsverfahren steht in engem Zusammenhang mit einem weiteren Verfahren, dass die Kommission bereits vor einem Jahr eingeleitet und das inzwischen den EuGH erreicht hat. Anfang April erließen die Luxemburger Richter daraufhin eine einstweilige Anordnung. Danach muss Polen die neu geschaffene Disziplinarkammer am Obersten Gericht bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache aussetzen. Die dort anhängigen Disziplinarverfahren – auch solche, die sich auf das „Maulkorb-Gesetz“ beziehen – dürfen nicht weiterverfolgt werden. Warschau hat noch bis zum 8. Mai Zeit, dem Gericht die Maßnahmen mitzuteilen, die es getroffen hat, um der Anordnung Folge zu leisten. Bisher ist dies nicht geschehen. Stattdessen bekundeten PiS-Vertreter, dass sie die Autorität des EuGH nicht anerkennen. Sollte sich Polen weiterhin dem Richterspruch verweigern, will die EU-Kommission beim EuGH ein Zwangsgeld gegen das Land verhängen lassen. Dann droht Polen eine sechsstellige Summe für jeden Tag, dem das Land der Anordnung nicht Folge leistet.
Vorerst kein Verfahren gegen ungarisches Notstandsgesetz
Gegen das ungarische Notstandsgesetz will die EU-Kommission hingegen vorerst nicht vorgehen. Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban hatte sich Ende März vom Parlament Sondervollmachten erteilen lassen. Damit kann er zunächst unbefristet per Dekret durchregieren. Zwar kann das Parlament ein Ende des Notstands beschließen, die Vollmachten bleiben jedoch in Kraft, falls das Parlament verhindert ist. Laut einem Bericht der „Welt“ kamen nun Rechtsexperten der EU-Kommission zu dem Schluss, dass es keine konkreten Anhaltspunkte für die Verletzung demokratischer Grundrechte in Ungarn gebe. Vizepräsidentin Jourova sagte, sie habe das Gesetz ebenfalls ausführlich analysiert und sehe keinen Anlass für ein Vertragsverletzungsverfahren. Da man sich aber schon lange unter anderem um die Gewaltenteilung in Ungarn sorge, werde man die Lage in dem EU-Staat weiter sehr intensiv und „proaktiv“ beobachten.