home Politik Rechtsstaatsmechanismus: EuGH-Generalanwalt empfiehlt Abweisung der Klagen von Ungarn und Polen

Rechtsstaatsmechanismus: EuGH-Generalanwalt empfiehlt Abweisung der Klagen von Ungarn und Polen

Polen und Ungarn droht vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die nächste Niederlage. In seinen Schlussanträgen plädierte Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona am Donnerstag in Luxemburg für eine Zurückweisung der Klagen der beiden Länder gegen den EU-Rechtsstaatsmechanismus und die damit verbundene Kürzung von EU-Geldern. Die Regelung sei mit Artikel 7 des EU-Vertrags vereinbar und stehe „im Einklang mit der Grundsatz der Rechtssicherheit“, so Sánchez-Bordona.

Rechtsstaatsmechanismus: EU kann Mittel kürzen

Polen und Ungarn hatten gegen die seit diesem Jahr geltende Regelung geklagt, nach der Mitgliedsstaaten Mittel aus dem gemeinsamen Haushalt gekürzt werden können, wenn wegen Rechtsverstößen ein Missbrauch der Gelder droht. Damit hat die EU erstmals ein wirksames Werkzeug, Regierungen in solchen Ländern zu sanktionieren, die seit Jahren den Rechtsstaat im eigenen Land demontieren, indem sie etwa Richter und Staatsanwälte unter politische Kontrolle zwingen. Zuvor waren Sanktionen zwar bereits ebenfalls möglich, mussten aber einstimmig beschlossen werden.

Mit Blick auf die Rechtsstaatlichkeit sind Polen und Ungarn schon lange die Sorgenkinder der EU. Sie erhalten netto hohe Milliardenbeträge aus dem EU-Haushalt. Zugleich laufen gegen beide Staaten Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge wegen mutmaßlicher Missachtung von EU-Grundwerten. Die nationalkonservative Regierung in Polen unter Führung der PiS-Partei baut das Justizwesen seit Jahren trotz internationaler Kritik um und setzt Richter und Staatsanwälte unter Druck. Die rechtsnationale Regierung Ungarns unter Viktor Orbán steht wegen ihrer Flüchtlings-, Medien-, Hochschul- und Justizpolitik in der Kritik.

Zusatzerklärung machte Prüfung möglich

INFO-BOX:
Rechtsstaatsmechanismus
Der Rechtsstaatsmecha-nismus wurde von der EU-Kommission 2014 zur Wahrung der in der EU geltenden Werte ins Leben gerufen. 2021 wurde er überarbeitet, sodass nun Verstöße gegen bestimmte Werte auch finanziell geahndet werden können.
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Die beiden Länder hatten im Dezember vergangenen Jahres wegen des Rechtsstaatsmechanismus zunächst den EU-Haushalt und den Corona-Hilfsfonds blockiert. Sie gaben erst grünes Licht, als man unter deutschem Ratsvorsitz als Kompromiss eine Zusatzerklärung aushandelte. Diese beinhaltet die Möglichkeit, den Rechtsstaatsmechanismus vom EuGH überprüfen zu lassen. Davon machten die beiden Länder mit ihren Nichtigkeitsklagen umgehend Gebrauch.

Dass der Rechtsstaatsmechanismus nur auf den Schutz von EU-Haushaltsmitteln beschränkt ist, rief zwar zahlreiche Kritiker auf den Plan. Es dürfte nun aber dafür sorgen, dass Polen und Ungarn mit ihren Klagen scheitern. Denn wie Sánchez-Bordona in seinen Schlussanträgen betonte, setze die Verordnung „eine hinreichend unmittelbare Verbindung zwischen dem Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit und der Ausführung des Haushaltsplans voraus“. Damit sei gegeben, dass sie nicht bei allen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit anwendbar ist, sondern nur bei solchen, die in Zusammenhang mit dem EU-Haushalt stehen. Das sei einer der Gründe, die Klage Ungarns und Polens abzuweisen.

EuGH-Richter folgen Schlussanträgen in der Regel

Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend, werden aber in den meisten Fällen von den Richtern befolgt. Zudem hat das oberste europäische Gericht in der Vergangenheit in anderen Fällen, in denen es ebenfalls um die Rechtsstaatlichkeit ging, immer wieder gegen die beiden Länder geurteilt. Die EU-Kommission will nach Angaben eines Sprechers das Urteil des Gerichtshofs abwarten, bevor sie gegebenenfalls erstmal eine Kürzung von EU-Geldern vorschlägt.

Durchschnittlich dauern Verfahren am EuGH rund eineinhalb Jahre. Bei einem beschleunigten Verfahren, das das Europaparlament in diesem Fall beantragen dürfte, wird mit einem Urteil Mitte Januar 2022 gerechnet. Danach dürften bis zu einer Aktivierung des Mechanismus nochmals mindestens zwei weitere Wochen vergehen. Denn erst Ende November hat die EU-Kommission blaue Briefe nach Warschau und Budapest geschickt, quasi als Vorstufe des Verfahrens. Die Antwortfrist auf diese Briefe beträgt zwei Monate. Es wird erwartet, dass die Kommission auch diese Frist noch abwartet, auch wenn sie rechtlich nicht dazu verpflichtet wäre.