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Betrug: Staatsanwaltschaft klagt früheren Wirecard-Chef Markus Braun an

Die Staatsanwaltschaft München I hat Anklage gegen den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun erhoben. Ihm und zwei weiteren ehemaligen Wirecard-Managern werfen die Ermittler „bandenmäßiges Vorgehen“ vor. Neben Bandenbetrug gehören auch die Veruntreuung des Wirecard-Vermögens, Bilanzfälschung und die Manipulation des Aktienkurses des Unternehmens zu den Vorwürfen in der mehr als 470 Seiten umfassenden Anklageschrift.

Bilanzfälschung durch erfundene Geschäfte

INFO-BOX:
Wirecard
Wirecard wurde 1999 gegründet und bot Lösungen für den elektronischen Zahlungs-verkehr, das Risikomanage-ment sowie die Herausgabe und Akzeptanz von Kreditkarten an. Die Tochtergesellschaft Wirecard Bank verfügte seit 2006 über eine deutsche Banklizenz. Seit 2002 war Markus Braun CEO und CTO der Wirecard AG.
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Braun und die anderen Wirecard-Manager hätten über Jahre hinweg darauf hingearbeitet, dass das Unternehmen erfolgreicher ausgesehen habe, als es tatsächlich war. „Hierzu erfanden sie angeblich äußerst ertragreiche Geschäfte, vor allem in Asien“, teilte die Staatsanwaltschaft am Montag mit. Ein angeblich in Singapur verwaltetes Guthaben in Höhe von fast einer Milliarde Euro habe nie existiert. Dennoch habe Braun entsprechende Saldenbestätigungen gemacht und die jeweiligen Abschlüsse unterzeichnet. Die beiden Mitangeklagten hätten ihn dabei unterstützt. Die Bilanzen des Unternehmens seien seit 2015 gefälscht gewesen. Kreditgebende Banken wurden dadurch um insgesamt 3,1 Milliarden Euro geschädigt. Davon entfallen 1,7 Milliarden Euro auf Kredite und 1,4 Milliarden Euro auf Schuldverschreibungen.

Der Österreicher Braun, der seit dem 22. Juli 2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft sitzt, wies die Vorwürfe zurück. Seine Anwälte stellten ihn vielmehr als Opfer da. „Die Anklage leidet an gravierenden Mängeln und geht von einem völlig falschen Tatbild aus“. Im Verfahren werde sich zeigen, dass Braun „nie Teil einer Bande war, die Millionensummen hinter seinem Rücken veruntreut hat, dass er nichts von den Machenschaften dieser Band gewusst und schon gar nicht von diesen profitiert hat“. Dies zielt vor allem auf den früheren Vertriebsvorstand Jan Marsalek. Dieser gilt neben Braun als eine der Schlüsselfiguren der Wirecard-Insolvenz. Marsalek setzte sich im Sommer 2020 ins Ausland ab und ist seitdem untergetaucht. Gegen den 41-Jährigen wird anderweitig ermittelt, er ist bislang jedoch nicht angeklagt.

Größter Betrugsschaden der Nachkriegsgeschichte

Insolvenzverwalter Michael Jaffé geht indes davon aus, dass der Fehlbetrag in Höhe von 1,9 Milliarden Euro, der letztlich zur Insolvenz des Unternehmens führte, nie existiert hat. Tatsächlich hätten Bilanzchef Braun und seine Manager spätestens seit 2015 gewusst, dass Wirecard Verluste erwirtschaftete. In vorangegangenen Zivilprozessen vor dem Münchner Landgericht machte der 53-Jährige jedoch deutlich, dass er bis heute davon ausgehe, dass es die vermissten knapp zwei Milliarden Euro tatsächlich gebe. Braun selbst wurde durch den Kollaps seines Unternehmens ebenfalls ruiniert. Er hatte nahezu sein gesamtes Vermögen in Wirecard-Aktien angelegt. Diese waren zu den besten Zeiten fast 200 Euro je Anteilsschein wert. Inzwischen werden sie für weniger als fünf Cent das Stück gehandelt.

Manipulationsvorwürfe gegen Wirecard gab es seit vielen Jahren. Aufgedeckt hatte den Skandal schließlich die britische „Financial Times“. Durch die Insolvenz des Unternehmens gerieten auch die Finanzaufsicht BaFin und vor allem die Wirtschaftsprüfer von EY stark in die Kritik. Letztere hatten die Wirecard-Bilanzen jahrelang testiert. Bevor es zum Prozess kommt, muss nun das Landgericht München entscheiden, ob die Anklage zugelassen wird. Der mutmaßliche Betrugsschaden von mehr als drei Milliarden Euro übersteigt in absoluten Zahlen und nicht inflationsbereinigt alle seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland bekannt gewordenen Fälle. Bisherige Rekordhalter war das badische Unternehmen FlowTex, das mit dem Verkauf nicht existenter Bohrmaschinen in den 1990er-Jahren einen Betrugsschaden von zwei Milliarden Euro angerichtet hatte.