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Brexit-Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien in der Sackgasse

Die Gespräche mit Großbritannien über die Beziehungen nach dem Brexit sind auch in der vierten und zunächst letzten Verhandlungsrunde aus Sicht der Europäischen Union nicht vorangekommen. Es habe „keine bedeutenden Fortschritte“ gegeben, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Freitag in Brüssel. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. So stelle London in jeder Verhandlungsrunde bereits gemachte Zusagen wieder infrage, kritisierte der Franzose. „Wir können nicht ewig so weitermachen“.

Verhandlungen stehen unter Zeitdruck

Das Abkommen zwischen der EU und Großbritannien muss wegen der nötigen Ratifizierung bis zum 31. Oktober ausgehandelt sein. Barnier schlug vor diesem Hintergrund eine weitere Verhandlungsrunde Ende Juni vor. Wegen des Zeitdrucks sei aber notwendig, sich „auf die schwierigsten Themen zu konzentrieren“. Auch der britische Verhandlungsführer David Frost will die Gespräche trotz fehlender Fortschritte fortsetzen. Um voranzukommen, müssten die Verhandlungen „intensiviert und beschleunigt“ werden. Zu den aktuellen Verhandlungen per Videokonferenz sagte Frost, man nähere sich den Grenzen dessen, was durch das Format förmlicher Runden aus der Ferne erreicht werden könne. In Brüssel wird daher bereits darüber spekuliert, ob sich nun EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und der britische Premier Boris Johnson zu einem Krisentreffen zusammenfinden sollten. Bei diesem könnte dann über eine Verlängerung der noch bis zum Ende des Jahres geltenden Übergangsfrist beraten werden. Gelingt keine Einigung, droht ein harter Brexit mit Zöllen und anderen Handelsschranken.

„Wollen Kontrolle über unsere Fischereigewässer zurück“

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Verhandlungsrichtlinien der Europäischen Union
Die Richtlinien der Europäischen Union zur Aufnahme von Verhandlungen für eine neue Partnerschaft mit Großbritannien nach dem Ablauf der Übergangsfrist am 31. Dezember 2020 können Sie mit einem Klick auf „mehr dazu“ einsehen und herunterladen.
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Ein besondere Rolle in den Verhandlungen nimmt der Streit um die Fischereirechte ein, obwohl der Fischfang gerade einmal 0,12 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmacht. Die „Kontrolle über unsere Fischereigewässer zurückholen“ war eines der zentralen Wahlkampfthemen Johnsons. Großbritannien kann nach internationalem Recht bis zu 200 Seemeilen um seine Küsten als ausschließliche Wirtschaftszone beanspruchen. Gerade dort liegen jedoch die fischreichsten Gebiete der Nordsee. Die EU sucht einen Hebel in der Verknüpfung mit anderen Themen, zum Beispiel Finanzdienstleistungen. Großbritannien habe aber bisher „keinen ernsthaften Willen“ gezeigt, es hier zu einer Vereinbarung kommen zu lassen. Einen Handelsdeal werde es aber nicht ohne eine Einigung beim Fischfang geben.

Zudem fordern die Briten einen möglichst ungehinderten Zugang für britische Unternehmen zum EU-Binnenmarkt, weigern sich jedoch, dafür im Gegenzug Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards der EU zu akzeptieren. Barnier sprach in diesem Zusammenhang von „Rosinenpickerei“. London dürfte hier auch ein mögliches Freihandelsabkommen mit den USA im Blick haben, bei dem eine Verpflichtung auf EU-Standards ein Hindernis darstellen könnte.

Gipfeltreffen: Boris Johnson muss liefern

„Die Briten tun nur noch so, als würden sie verhandeln“, sagte ein EU-Vertreter gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. „Es gibt keinerlei Bemühen von ihrer Seite. Wir haben sogar den Eindruck, dass sie die Order erhalten haben, stillzuhalten“. Ähnlich äußerte sich der Europa-Politiker Markus Ferber (CSU/EVP). „Man bekommt langsam den Eindruck, dass die Briten auf ein Platzen der Verhandlungen hinarbeiten“. Sollte es zu einem Treffen mit der Kommissionspräsidentin und dem Ratspräsidenten kommen, müsse Boris Johnson ein echtes Angebot mitbringen. Andernfalls befinde man sich in einer Sackgasse. Ein hochrangiges Mitglied des britischen Verhandlungsteams sagte am Freitag vor Journalisten, die Verhandlungen dürften sich keinesfalls bis in den Herbst hineinziehen, ehe ein Durchbruch erkennbar werde. Die britische Wirtschaft brauche schnellstmöglich Gewissheit, wie es nach dem Ende der Übergangsphase weitergehe. Wie verschiedene Medien berichten, rät indes die Bank of England den heimischen Geldhäusern zu verstärkten Vorbereitungen auf ein Scheitern der Verhandlungen.