home Gesundheit, Politik Bundesarbeitsgericht: Ausländischen Pflegekräften steht Mindestlohn zu

Bundesarbeitsgericht: Ausländischen Pflegekräften steht Mindestlohn zu

Nach Deutschland vermittelte ausländische Pflege- und Haushaltshilfen, die Senioren in ihrem häuslichen Umfeld betreuen, haben Anspruch auf Mindestlohn. Das entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt am Donnerstag in einem Grundsatzurteil. Der Mindestlohn gelte auch für Bereitschaftszeiten, in denen die zumeist aus Osteuropa stammenden Frauen Betreuung auf Abruf leisteten, so die höchsten deutschen Arbeitsrichter.

24/7-Pflege bei 30-Stunden-Arbeitsvertrag

INFO-BOX:
Urteil
AZ: 21 Sa 1900/19
Weitere Hintergründe zu dem Verfahren, dem Verfahrensverlauf sowie das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. August 2020 finden Sie mit einem Klick auf "mehr dazu".
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Geklagt hatte eine Frau aus Bulgarien. Diese hatte nach eigenen Angaben eine über 90-jährige Seniorin in deren Berliner Wohnung 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche betreut. Selbst nachts habe die Tür zu ihrem Zimmer offenbleiben müssen, damit sie auf die Rufe der Seniorin reagieren konnte. In ihrem Vertrag stand jedoch nur eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich – bei einem freien Wochenende. Die Höhe der Nachzahlung muss nun vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erneut geprüft werden. Zahlungspflichtig ist dann ihre bulgarische Firma. Die Frau selbst verlangt für sieben Monate eine Zahlung von fast 43.000 Euro, abzüglich bereits gezahlter knapp 7.000 Euro netto. Der Vorsitzende Richter Rainer Link machte in seiner Urteilsbegründung deutlich, dass Bereitschaftsdienst auch darin bestehen könne, dass die Pflegehilfe im Haushalt der Senioren wohnen müsse und „grundsätzlich verpflichtet ist, zu allen Tag- und Nachtstunden bei Bedarf Arbeit zu leisten“.

Branchenverbände befürchten nun, dass das Urteil viele finanziell überfordern könnte, die derzeit die vergleichsweise günstige Pflege aus dem Ausland in Anspruch nehmen. Einerseits sei das Urteil nachvollziehbar. Andererseits löse es aber einen Tsunami aus für alle, die daheim auf die Unterstützung ausländischer Pflegekräfte angewiesen sind, so Eugen Brysch, Vorstand bei der Deutsche Stiftung Patientenschutz in Dortmund. „Hätten wir die ausländischen Pflegekräfte nicht, wäre die häusliche Pflege schon zusammengebrochen“. Nach Bryschs Angaben sind hierzulande mindestens 100.000 ausländische Helfer offiziell in Seniorenhaushalten beschäftigt. Hinzu käme schätzungsweise nochmals die doppelte Anzahl, die ohne schriftliche Vereinbarung als Betreuungskraft arbeiteten. Ihre Arbeitsbedingungen seien oft prekär.

Verdi: Betreuungsmodell systematischer Gesetzesbruch

Die Gewerkschaft Verdi, deren Mitglied die Klägerin ist, sowie die Bundestagsfraktion der Linken begrüßten hingegen das Urteil. Gleichzeitig kritisierten sie die teilweise „ausbeuterischen Zustände“ in der Branche. „Es ist beschämend, dass in unserem Land viele pflegebedürftige Menschen und ihre Familien auf eine sogenannte 24-Stunden-Pflege zurückgreifen müssen, weil das offizielle System keine ausreichende Unterstützung bietet“, sagte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. „Das Modell, Frauen meist aus osteuropäischen Ländern im Haushalt des hilfebedürftigen Menschen wohnen und arbeiten zu lassen, um immer auf jemanden zurückgreifen zu können, basiert auf systematischem Gesetzesbruch“.

Vermittler werben Hilfe suchende Familien in Deutschland nicht selten mit dem Versprechen einer 24-Stunden-Betreuung, meist für wenig Geld. Die Auftraggeber zahlen dann in der Regel an die Firmen in den Herkunftsländern der Helferinnen. Diese befinden sich vor allem in Bulgarien, Rumänien, Polen oder der Ukraine.