home Politik Supreme Court: Zwangpause des britischen Parlaments ist illegal

Supreme Court: Zwangpause des britischen Parlaments ist illegal

Die von Premierminister Boris Johnson veranlasste Zwangspause des britischen Parlaments ist dem Obersten Gericht des Landes zufolge unzulässig. Die elf Richter des Supreme Court entschieden einstimmig, dass die verordnete Zwangspause („Prorogation“) einen „extremen Effekt“ auf das Parlament und seinen verfassungsgemäßen Auftrag habe, sagte die Vorsitzende Richterin Lady Brenda Hale bei der Urteilsverkündung. Das Gericht hob die Zwangspause des Parlaments mit sofortiger Wirkung auf. Es liege nun in der Hand der Parlamentspräsidenten von Ober- und Unterhaus zu entscheiden, wie es weitergehe. Der Sprecher des Unterhauses, John Bercow, erklärte direkt nach dem Urteil, das Parlament müsse umgehend zusammenkommen.

Oppositionsparteien fordern Premier Johnson zum Rücktritt auf

INFO-BOX:
Backstop
Durch den Brexit entsteht an der Grenze zwischen Nordirland und Irland, das in der EU bleibt, eine EU-Außengrenze. An dieser historisch sensiblen Grenze will die EU auch zukünftig Grenzkontrollen vermeiden. Hier kommt der Backstop ("Rückfalllösung") ins Spiel: Dieser besagt, dass wenn die EU und Großbritannien es in einer Übergangsphase bis maximal 2022 nicht schaffen, ein gemeinsames Handelsabkommen auszuhandeln, ganz Großbritannien in der Zollunion der EU und Nordirland zusätzlich im europäischen Binnenmarkt verbleibt. Der Backstop gilt unbefristet und kann auch nicht einseitig aufgekündigt werden.
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Das Parlament habe ein Recht darauf, in der Zeit vor einem wichtigen Ereignis wie dem geplanten EU-Austritt am 31. Oktober eine Stimme zu haben, sagte Lady Hale bei der Urteilsbegründung. Es handele sich um einen einmaligen Fall, den es unter diesen Umständen noch nie gegeben habe und den es „wahrscheinlich auch nie wieder geben wird“. Joanna Cherry, die zuvor vor einem schottischen Gericht gegen die Parlamentspause geklagte hatte, forderte Premierminister Johnson direkt nach dem Urteil zum Rücktritt auf. Die Parteichefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson, sowie Labour-Chef Jeremy Corbyn schlossen sich dieser Forderung an. Die grüne Parlamentsabgeordnete Caroline Lucas ging sogar so weit, die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung und eine geschriebene Verfassung zu fordern. „Wir können uns nicht mehr auf Gentlemen’s Agreements verlassen, die nicht mehr gelten“, sagte Lucas.

Der Supreme Court ließ in seinem Urteil außerdem durchblicken, das Johnson die Queen, die der parlamentarischen Zwangspause zustimmen musste, getäuscht und damit in Verlegenheit gebracht habe. Begonnen hatte die Parlamentspause in der Nacht zum 10. September. Zuvor kam es bei der Abschlusszeremonie zu tumultartigen Szenen. Das Parlament sollte erst am 14. Oktober – und damit nur rund zwei Wochen vor dem geplanten Brexit – wieder zusammenkommen. Trotz der Zwangspause konnte Johnson nicht verhindern, dass die Abgeordneten ein Gesetz verabschiedeten, das den Premierminister zum Beantragen einer weiteren Verlängerung der Brexit-Frist bei der EU verpflichtet. Sollte bis zum 19. Oktober kein Abkommen ratifiziert sein, müsste Johnson dem Gesetz entsprechend einen solchen Antrag nach Brüssel schicken. Der Premierminister hatte jedoch stets betont, dem nicht nachkommen zu wollen und das Land auch ohne Deal am 31. Oktober aus der EU zu führen.

Prüft Regierung bereits neue Optionen, das Parlament zu stoppen?

Johnson wich unterdessen Fragen nach persönlichen Konsequenzen aus. Vor dem Urteil sagte der Premier gegenüber der BBC: „Ich werde warten und sehen, was das Urteil ist“. Die Regierung werde jedoch „das Gesetz und die Justiz voll respektieren“. Britische Medien berichten unterdessen, dass die Regierung für den Fall einer Niederlage vor Gericht bereits Wege geprüft hat, das Parlament auf andere Weise zu suspendieren. Zuletzt hatte es in den Verhandlungen zwischen London und Brüssel zarte Anzeichen für eine Annäherung gegeben. Knackpunkt bleibt aber die „Backstop“-Regelung (siehe auch Info-Box), die eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindern soll. Eine Reihe von Ideenpapieren, die die britischen Verhandler letzte Woche auf den Tisch gelegt hatten, reichen der EU aber nicht aus. Aus diplomatischen Kreisen in Brüssel hieß es daher auch, man sei von einer Einigung noch „weit entfernt“.