home Politik EU-Kommission verklagt Polen wegen Justizreformen vor EuGH

EU-Kommission verklagt Polen wegen Justizreformen vor EuGH

Im Streit über die polnischen Justizreformen verhärten sich die Fronten zwischen der nationalkonservativen Regierung in Warschau und der EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde sieht die Unabhängigkeit polnischer Richter in Gefahr und verklagt daher das Land vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dies teilte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Mittwoch mit. Das in Polen im Februar 2020 in Kraft getretene Justizgesetz untergrabe nach Ansicht der Kommission die Unabhängigkeit polnischer Richter und stehe im Widerspruch zum Vorrang von EU-Recht gegenüber nationalem Recht, hieß es zur Begründung.

Reformen höhlen Unabhängigkeit polnischer Richter aus

INFO-BOX:
Prawo i Sprawiedliwość (PiS)
Die Prawo i Sprawiedliwość ("Recht und Gerechtigkeit") wurde 2001 vom damaligen Justizminister Lech Kaczyński und seinem Zwillingsbruder Jarosław gegründet. Sie gilt als gemäßigt EU-skeptisch und wird als nationalkonser-vativ, christdemokratisch und (rechts-)populistisch charakterisiert.
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„Die nationalen Regierungen sind frei, ihre Justizsysteme zu reformieren, aber sie müssen sich dabei an die EU-Verträge halten“, sagte Vize-Kommissionschefin Vera Jourova. Neben der gefährdeten Unabhängigkeit der Richter sieht die Kommission noch einen zweiten Knackpunkt. Demnach dürfe die Disziplinarkammer des obersten polnischen Gerichtshofs nicht mehr weiter tätig sein, da sie möglicherweise nicht unabhängig sei. „Ich bin zutiefst besorgt über die fortgesetzten Maßnahmen, die die Unabhängigkeit der Justiz in Polen untergraben“, so Jourova.

Der Druck auf polnische Richter nehme immer weiter zu und ihre Unabhängigkeit werde zunehmend ausgehöhlt. Daher rufe man die höchsten EU-Richter dazu auf, vor dem endgültigen Urteil bereits vorläufige Maßnahmen zu verhängen. Schon Anfang des Monats hatte der EuGH geurteilt, dass Regelungen zur Besetzung von Richterstellen in Polen, wie sie die konservative PiS-Partei eingeführt hat, möglicherweise gegen europäisches Recht verstoßen. Schon damals wies das Gericht darauf hin, dass die Justiz unabhängig und unparteilich sein müsse.

Das umstrittene Gesetz zur Disziplinierung von Richtern sieht vor, dass Richter mit Geldstrafen, Herabstufung oder gar Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Entscheidungskompetenz oder Legalität eines anderen Richters, einer Kammer oder eines Gerichts infrage stellen. Auch dürfen sich Richter nicht politisch betätigen. Jourova hatte zuvor bereits davor gewarnt, das Gesetz könnte „unter anderem zur politischen Kontrolle des Inhalts von Gerichtsentscheidungen“ verwendet werden. Die 2018 gegründete Disziplinarkammer ist ein Schlüsselelement der polnischen Justizreformen. Schon im April vergangenen Jahres hatte der EuGH entschieden, dass die Kammer ihre Arbeit zunächst aussetzen muss. Nach Angaben der EU-Kommission treffe sie jedoch weiter Entscheidungen, die sich direkt auf die Berufsausübung von Richtern, etwa auf ihre Immunität, auswirken.

Rechtsstaatsmechanismus: Polen und Ungarn klagen

Zwischen Polen und der EU-Kommission gibt es seit Jahren Streit um die Einhaltung rechtlicher Standards. So klagte das das Land gemeinsam mit Ungarn gegen den Rechtsstaatsmechanismus der EU, der Fördergelder davon abhängig macht, dass Mitgliedsstaaten elementare Prinzipien wie die Gewaltenteilung einhalten. Polen und Ungarn blockierten deswegen im vergangenen Jahr auch vorübergehend den Haushaltsbeschluss der EU. Erst nachdem die Staats- und Regierungschefs zugesichert hatten, dass der EuGH die Kürzungen von EU-Geldern prüfen werde, lenkten sie ein. Die entsprechenden Klagen reichten die beiden Länder in der vergangenen Woche in Luxemburg ein. Aufgrund der Verfahrensdauer drohen Ungarn, Polen und möglicherweise weiteren EU-Ländern aber frühestens 2022 Sanktionen.