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Türkei: Inflation jetzt bei rund 20 Prozent – Lira stürzt weiter ab

In der Türkei verliert das Geld immer mehr an Wert. Im Oktober stiegen die landesweiten Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat um 19,9 Prozent an, wie das nationale Statistikamt in Ankara am Mittwoch mitteilte. Analysten hatten im Schnitt sogar einen noch stärkeren Anstieg auf 20,4 Prozent Inflation befürchtet. Trotzdem markiert der Wert den höchsten Stand seit Frühjahr 2019.

Präsident Erdogan greift massiv in Geldpolitik ein

INFO-BOX:
Türkische Lira
Die heutige „Neue Türkische Lira“ kam im Oktober 1923 in Umlauf. Ab 1995 war die Währung einer Hyperinflation ausgesetzt, welche 2005 zur Einführung der um sechs Nullen gekürzten alten Lira führte. Seit Januar 2009 heißt die Währung offiziell wieder „Türkische Lira“.
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Allein im Vergleich zum Vormonat zogen die Preise um 2,4 Prozent an. Die Statistiker machten dafür höhere Preise für Lebensmittel, Dienstleistungen, Wohnungen und Transport, aber auch die steigenden Kosten für Energieimporte verantwortlich. Die Preise für Lebensmittel lagen nach amtlicher Darstellung mehr als 27 Prozent über dem Niveau von Oktober 2020, die Erzeugerpreise legten im selben Zeitraum sogar um 43 Prozent zu. Die starke Teuerung bereitet Anlegern seit Langem Kopfzerbrechen, weshalb sie die türkische Lira meiden. Die Landeswährung der Türkei ist in den vergangenen Monaten zu Dollar und Euro erheblich unter Druck geraten. Dabei erreichte sie jeweils Rekordtiefstände. Aktuell ist eine Lira nur noch 0,089 Euro wert. 10 Euro entsprechen so 112 Lira. Die billige Lira verteuert den Waren-Import aus dem Ausland, was die Preise für Unternehmen und Verbraucher immer weiter steigen lässt.

Ökonomen sind überzeugt: Um diese Abwertungsspirale zu unterbrechen, wäre ein beherztes Eingreifen der Notenbank nötig. Höhere Zinsen würden die globalen Kapitalströme in Richtung des Landes am Bosporus lenken und so für eine Aufwertung der Währung sorgen, die letztlich der Inflation Einhalt gebieten könnte. Doch Präsident Recep Tayyip Erdogan ist ein ausgesprochener Gegner hoher Zinsen. Mehrfach hatte der 67-Jährige betont, diese seien „die Wurzel allen Übels“. Noch dazu behauptet der Staatschef entgegen dem Konsens praktisch aller Ökonomen, dass diese die Inflation gar nicht bremsen.

Und diese Überzeugung setzt er mit aller Macht durch. Dazu greift er immer wieder massiv in die Geldpolitik ein. Im März dieses Jahres hatte Erdogan schon den dritten Notenbankchef seit 2019 vor die Tür gesetzt. Der aktuelle Notenbankchef Sahap Kavcioglu senkte den Leitzins Ende Oktober überraschend um zwei Prozentpunkte auf 16 Prozent. Dies dürfte auch auf direkten Wunsch des Präsidenten hin geschehen sein. Noch für dieses Jahr erwarten Experten eine weitere Senkung.

Türkei steuert „auf einen Lira-Kollaps zu“

Denn auch der Notenbankchef sieht keinen Zusammenhang zwischen dem Verfall der Lira und der hohen Inflation. Vielmehr machte er stattdessen Dürren für die gestiegenen Lebensmittelpreise verantwortlich. Bei seiner Einmischungspolitik lässt der türkische Präsident zudem völlig außer Acht, dass er durch sein Handeln das Vertrauen der Finanzmärkte in die Unabhängigkeit der Zentralbank grob beschädigt und so den Kursverfall der Lira weiter beschleunigt. Tatha Ghose, Devisenexperte der Commerzbank, zeigte sich derweil davon überzeugt, dass sich die Türkei auf einen Punkt zubewegt, an dem Zinserhöhungen unausweichlich sind. Die Türkei steuere auf einen Lira-Kollaps zu.

Schon jetzt trennten sich immer mehr Anleger von den Anleihen des Landes. Das hat die Rendite der zehnjährigen türkischen Staatsanleihe auf rund 20 Prozent ansteigen lassen. Für den türkischen Staat wird es dadurch immer schwieriger, seine Schulden zu bedienen. Und auch der Unmut in der Bevölkerung wächst angesichts der immer weiter steigenden Preise. Um dem entgegenzusteuern, erwägt die Regierung Hilfen für ärmere Bevölkerungsschichten. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters gehören dazu eine Anhebung des Mindesteinkommens und konkrete Hilfen gegen den rapiden Anstieg der Öl-, Gas– und Strompreise.