home Politik Taxonomie: EU-Kommission stuft Gas und Atomkraft als nachhaltig ein

Taxonomie: EU-Kommission stuft Gas und Atomkraft als nachhaltig ein

Ungeachtet massiver Kritik stuft die EU-Kommission Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich ein. Dies gab die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinnes am Mittwoch in Brüssel bekannt. Der Rechtsakt bleibt sogar noch hinter einem ursprünglichen Entwurf zurück und lockert die Auflagen für Gaskraftwerke. Besonders Deutschland hatte darauf gepocht, die Kriterien für Gas flexibler zu gestalten.

Kritiker: Taxonomie verliert Glaubwürdigkeit

Hintergrund der Einstufung von bestimmten Gas- und Atomprojekten als nachhaltig ist die sogenannte Taxonomie der EU. Sie soll Bürger und Anleger dazu bringen, in klimafreundliche Technologien zu investierten, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Der Rechtstext der Kommission sei „vielleicht nicht perfekt“. Er biete aber „eine echte Lösung“ für das Ziel der EU, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu werden, sagte McGuinness. Atomenergie und Gas seien zwar „an sich nicht grün, aber sie ermöglichen den Übergang zu erneuerbaren Energien“, ergänzten Kommissionsexperten. Kritiker der heutigen Entscheidung hingegen monieren, dass mit Atom und Gas die Taxonomie aber Glaubwürdigkeit verliere und am Ende von Investoren am Kapitalmarkt nicht akzeptiert werden könnte.

Österreich und Luxemburg kündigen Klagen an

INFO-BOX:
Taxonomie-Verordnung der EU
Die Taxonomie-Verordnung der EU (2020/852) enthält Kriterien zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können. Sie ist ein zentraler Rechtsakt, der durch Förderung privater Investitionen in grüne und nachhaltige Produkte einen Beitrag zum European Green Deal leisten soll.
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Der nun angenommene Rechtsakt sieht vor, dass Investitionen in neue Gaskraftwerke bis 2030 als nachhaltig gelten, wenn sie unter anderem schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden. Im ursprünglichen Entwurf war die Beimischung von klimafreundlichen Gasen schon ab 2026 vorgeschrieben. Somit können die Gaskraftwerke nun unter Umständen länger höhere Anteile an verschmutzendem Erdgas nutzen. Neue Atomkraftwerke sollen sogar bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn ein konkreter Plan für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ab spätestens 2050 vorliegt.

Die Pläne der EU-Kommission wurden bereits im Vorfeld stark kritisiert. Österreich und Luxemburg haben angekündigt, dagegen zu klagen. Die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler erklärte, ihr Ministerium werde in den kommenden Wochen „alle rechtlichen Schritte vorbereiten“ und bei einem Inkrafttreten des Kommissionsbeschlusses beim Europäischen Gerichtshof „mit einer Nichtigkeitsklage dagegen vorgehen“. Der Beschluss der EU-Kommission komme einem „Greenwashing von Atom und Erdgas“ gleich. Auch Spanien, Dänemark, die Niederlande und Schweden lehnen eine nachhaltige Einstufung von Gas ab. Dies teilten die Mitgliedsstaaten Anfang der Woche in einem Schreiben an die Kommission mit.

Die Bundesregierung hatte sich zuvor klar gegen eine entsprechende Einstufung von Atomkraft ausgesprochen. Sie hält Investitionen in Gaskraftwerke als Brückentechnologie aber unter bestimmten Voraussetzungen für vertretbar. „Wir haben jetzt vier Monate Zeit, das zu prüfen, was die Kommission jetzt tatsächlich vorlegt“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Die Frist zur Prüfung könne sogar bis zu sechs Monate betragen.

Ablehnung des Rechtsakts gilt als unwahrscheinlich

EU-Abgeordnete, Umweltschützer und Wissenschaftler haben in der Vergangenheit immer wieder auf die klimaschädlichen CO2-Emissionen von Gas und die ungelöste Frage des radioaktiven Abfalls bei der Kernkraft hingewiesen. „Mit der Aufnahme von Atomkraft und Erdgas wird die EU-Taxonomie ein Werkzeug für das Greenwashing schmutziger Energieträger“, kritisierte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Ähnlich äußerte sich der World Wide Fund For Nature (WWF). Der EU-Vorschlag ignoriere, „dass fossiles Gas enorme Emissionen verursacht und Atomkraft eine Risikotechnologie ist, die hochradioaktiven Abfall erzeugt, für dessen Entsorgung es bisher keine sichere Lösung gibt“. Er forderte das EU-Parlament und den Rat der Mitgliedsstaaten auf, „den Vorschlag abzulehnen“. Auch vonseiten großer Anleger wie der Europäischen Investmentbank und der Investorengruppe IIGCC kam Kritik.

Theoretisch könnten die Mitgliedstaaten oder das Europaparlament das geplante Inkrafttreten der neuen Regeln im kommenden Jahr noch verhindern. Dies gilt jedoch als unwahrscheinlich, da es dafür der Nein-Stimmen von mindestens 20 der 27 Mitgliedsstaaten oder einer absoluter Mehrheit des Europaparlaments bedürfte.