Der Berliner Verfassungsgerichtshof hält nach einer vorläufigen Einschätzung eine komplette Wiederholung der Wahl zum Abgeordnetenhaus für notwendig – und ebenso zu den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen. Das erklärte Gerichtspräsidentin Ludgera Selting am Mittwoch zum Auftakt der mündlichen Verhandlung zur Überprüfung der Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl. Sie begründete dies mit schweren Wahlfehlern, die Auswirkungen auf die Mandatsverteilung und Zusammensetzung des Parlaments gehabt haben könnten.
„Integrität des Wahlergebnisses erheblich beschädigt“
Berliner Verfassungsgerichtshof |
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Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin nahm seine Arbeit im Mai 1992 auf. Das Gericht hat seinen Sitz in Berlin-Schöneberg. Neben Organstreit- und Normenkontrollverfahren gehören auch Verfassungsbeschwerden und Wahlprüfungen zu seinen Aufgaben. |
Die Wahlbedingungen mit teils mehreren Stunden Wartezeit seien unzumutbar gewesen. Zudem habe man zu lange gewählt. Insgesamt seien Wahllokale noch 350 Stunden nach 18 Uhr geöffnet gewesen. Es hätten „teilweise chaotische“ Zustände geherrscht, viele Wahllokale seien „völlig überlastet“ gewesen, so der Verfassungsgerichtshof. Außerdem habe ein Teil der Wählenden ihre Stimme abgegeben, während es bereits erste Hochrechnungen in der Presse gab.
Neuwahl spätestens Ende März 2023
Das Gericht beschäftigte sich am Mittwoch erstmals mit den Wahlpannen im vergangenen Jahr. Von den insgesamt 35 Einsprüchen will das Gericht zunächst vier verhandeln. Dabei geht es um die Beschwerden des Senats, der Landeswahlleitung sowie der Parteien AfD und Die Partei. Diese Verfahren seien geeignet, „alle relevanten Fragen im Zusammenhang mit dem Wahlgeschehen abzudecken“, hieß es vom Gericht im Vorfeld. Über weitere Wahlprüfungsanträge will der Verfassungsgerichtshof später entscheiden. Eine Entscheidung noch am Mittwoch wird nicht erwartet, ist aber theoretisch möglich. Laut Gesetz haben die Richterinnen und Richter nach der Verhandlung drei Monate Zeit für ein Urteil. 90 Tage später muss die Wahl stattfinden. Das wäre dann wahrscheinlich im Frühjahr kommenden Jahres.
Stephan Bröchler, ab 1. Oktober neuer Berliner Landeswahlleiter, erklärte gegenüber dem „Spiegel“ nach Verkündung der vorläufigen Einschätzung: „Das ist ein Paukenschlag“. Bröchler war Teil der Kommission, die das Chaos der Wahl aufgearbeitet hat. „Ich gehe von einer Wiederholung der Wahl aus – ob wir vollständig wiederholen müssen, bleibt abzuwarten“. Berlins AfD-Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker geht indes bereits jetzt von einer kompletten Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl spätestens Ende März 2023 aus. „Das wäre auch in unserem Sinne und im Sinne der Berliner“.