home Politik Verfassungsgericht: Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus muss wohl wiederholt werden

Verfassungsgericht: Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus muss wohl wiederholt werden

Der Berliner Verfassungsgerichtshof hält nach einer vorläufigen Einschätzung eine komplette Wiederholung der Wahl zum Abgeordnetenhaus für notwendig – und ebenso zu den zwölf Bezirksverordnetenversammlungen. Das erklärte Gerichtspräsidentin Ludgera Selting am Mittwoch zum Auftakt der mündlichen Verhandlung zur Überprüfung der Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl. Sie begründete dies mit schweren Wahlfehlern, die Auswirkungen auf die Mandatsverteilung und Zusammensetzung des Parlaments gehabt haben könnten.

„Integrität des Wahlergebnisses erheblich beschädigt“

INFO-BOX:
Berliner
Verfassungsgerichtshof
Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin nahm seine Arbeit im Mai 1992 auf. Das Gericht hat seinen Sitz in Berlin-Schöneberg. Neben Organstreit- und Normenkontrollverfahren gehören auch Verfassungsbeschwerden und Wahlprüfungen zu seinen Aufgaben.
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Da Tausende Bürger am 26. September 2021 ihre Stimme nicht oder nicht wirksam abgeben konnten und die vielen Wahlfehler zudem nur sehr lückenhaft dokumentiert seien, sei „die Integrität des Wahlergebnisses erheblich beschädigt“ worden. Dadurch könne auch das Vertrauen der Bürger in die Demokratie dauerhaft beschädigt werden. Das ließe sich „nur durch eine Wiederholung der vollständigen Wahl in allen Wahlkreisen“ heilen. Eine nur teilweise Wiederholung der Wahl könne die Legitimation des Parlaments nicht wiederherstellen. Die Gerichtspräsidentin kritisierte die Landeswahlleitung. Diese sei ihrer Pflicht, die Wahlen in geeigneter Weise vorzubereiten nicht ausreichend nachgekommen, so Selting. So sei unter anderem die geringe Zahl an Wahlkabinen und Stimmzetteln eine direkte Folge „dieser unzureichenden Vorbereitung gewesen“.

Die Wahlbedingungen mit teils mehreren Stunden Wartezeit seien unzumutbar gewesen. Zudem habe man zu lange gewählt. Insgesamt seien Wahllokale noch 350 Stunden nach 18 Uhr geöffnet gewesen. Es hätten „teilweise chaotische“ Zustände geherrscht, viele Wahllokale seien „völlig überlastet“ gewesen, so der Verfassungsgerichtshof. Außerdem habe ein Teil der Wählenden ihre Stimme abgegeben, während es bereits erste Hochrechnungen in der Presse gab.

Neuwahl spätestens Ende März 2023

Das Gericht beschäftigte sich am Mittwoch erstmals mit den Wahlpannen im vergangenen Jahr. Von den insgesamt 35 Einsprüchen will das Gericht zunächst vier verhandeln. Dabei geht es um die Beschwerden des Senats, der Landeswahlleitung sowie der Parteien AfD und Die Partei. Diese Verfahren seien geeignet, „alle relevanten Fragen im Zusammenhang mit dem Wahlgeschehen abzudecken“, hieß es vom Gericht im Vorfeld. Über weitere Wahlprüfungsanträge will der Verfassungsgerichtshof später entscheiden. Eine Entscheidung noch am Mittwoch wird nicht erwartet, ist aber theoretisch möglich. Laut Gesetz haben die Richterinnen und Richter nach der Verhandlung drei Monate Zeit für ein Urteil. 90 Tage später muss die Wahl stattfinden. Das wäre dann wahrscheinlich im Frühjahr kommenden Jahres.

Stephan Bröchler, ab 1. Oktober neuer Berliner Landeswahlleiter, erklärte gegenüber dem „Spiegel“ nach Verkündung der vorläufigen Einschätzung: „Das ist ein Paukenschlag“. Bröchler war Teil der Kommission, die das Chaos der Wahl aufgearbeitet hat. „Ich gehe von einer Wiederholung der Wahl aus – ob wir vollständig wiederholen müssen, bleibt abzuwarten“. Berlins AfD-Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker geht indes bereits jetzt von einer kompletten Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl spätestens Ende März 2023 aus. „Das wäre auch in unserem Sinne und im Sinne der Berliner“.