home Wirtschaft 10,7 Prozent: Inflation im Euroraum erreicht Rekordwert

10,7 Prozent: Inflation im Euroraum erreicht Rekordwert

Erstmals seit der Einführung des Euro ist die Inflation im Euroraum über die Marke von zehn Prozent geklettert. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Verbraucherpreise um 10,7 Prozent, teilte das EU-Statistikamt Eurostat in einer ersten Schätzung am Montag mit. Volkswirte hatten im Vorfeld „nur“ mit einer Rate von 10,3 Prozent gerechnet. Im Vormonat hatten die Verbraucherpreise im Euroraum um 9,9 Prozent zugelegt.

Inflation fünfmal höher als EZB-Ziel

Der erneute und unerwartet kräftige Preisschub macht klar, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrem Zinserhöhungskurs noch nicht am Ziel angelangt ist. „Mit 10,7 Prozent liegt die Inflation schon jetzt meilenweit über den 9,2 Prozent, die die EZB für das vierte Quartal erwartet“, erklärte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. „Auf diese Inflationsrisiken sollte sich die EZB gemäß ihres Mandats auf der Dezember-Sitzung konzentrieren – und nicht auf die Rezessionsrisiken“.

Die Inflation in der Währungsgemeinschaft liegt inzwischen mehr als fünfmal so hoch wie das Ziel der Währungshüter von zwei Prozent, das sie als optimal für die Wirtschaft ansehen. Trotz zunehmender Rezessionssorgen hatten die Währungshüter vergangene Woche den Leitzins um 0,75 Punkte auf nunmehr 2,0 Prozent angehoben. Der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz für Gelder, die Geschäftsbanken bei der EZB parken, wurde im selben Umfang auf 1,50 Prozent erhöht. Laut dem niederländischen Notenbankchef Klaas Knot wird die nächste Zinserhöhung mindestens 0,50 Prozentpunkte betragen. Die EZB hat ihre nächste Zinssitzung am 15. Dezember.

Schauen „wirtschaftlich in einen kalten, dunklen Abgrund“

INFO-BOX:
Eurostat
Das Statistische Amt der Europäischen Union (kurz Eurostat) wurde 1953 für die Zwecke der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) gegründet. Sie ist die Verwaltungseinheit der EU zur Erstellung amtlicher europäischer Statistiken, ist dem Kommissar für Wirtschaft und Währung zugeordnet und hat ihren Sitz in Luxemburg.
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Wie bereits in den vergangenen Monaten legten besonders die Energiepreise zu. Im Oktober betrug die Steigerung 41,9 Prozent. Lebensmittel, Tabak und Alkohol verteuerten sich um 13,1 Prozent. Die Preise für Industriegüter ohne Energie kletterten um 6,0 Prozent, die für Dienstleistungen um 4,4 Prozent. Am höchsten ist die Inflation weiterhin mit jeweils rund 22 Prozent in den drei baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland. Auch in den Niederlanden fiel die Teuerungsrate mit fast 17 Prozent erneut sehr hoch aus. Am niedrigsten war sie in Frankreich (7,1 Prozent) und Spanien (7,3 Prozent). Für Deutschland errechnete die EU-Statistikbehörde eine Inflationsrate von 11,6 Prozent. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hatte in seiner ersten Schätzung am Freitag eine Inflationsrate von 10,4 Prozent ausgewiesen. Eurostat verwendet jedoch eine andere Berechnungsmethode, um die Werte der einzelnen Euro-Staaten vergleichbar zu machen.

Nichtsdestotrotz hat sich die Wirtschaft der Eurozone im Sommer besser entwickelt als erwartet. Im dritten Quartal wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der 19 Euroländer zum Vorquartal um 0,2 Prozent. Dennoch hat die Konjunktur mittlerweile deutlich an Fahrt verloren: Im Frühjahr hatte das Wachstum noch bei 0,8 Prozent gelegen. Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist die Wahrscheinlichkeit einer Rezession inzwischen größer geworden. Elmar Völker, Analyst bei der LBBW, gab sich ebenfalls pessimistisch: „Auch wenn das Wetter noch vergleichsweise milde ist, schauen wir wirtschaftlich in einen kalten, dunklen Abgrund“. Nach Einschätzung von Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Union Investment, wird die Wirtschaftsleistung im Winterhalbjahr rückläufig sein. „Die Gründe dafür sind vor allem die hohen Energiepreise, die mittlerweile nicht mehr nur die Industrie, sondern auch den Dienstleistungssektor belasten“.