home Wirtschaft 3,9 Prozent: Teuerungsrate in Deutschland auf 28-Jahres-Hoch

3,9 Prozent: Teuerungsrate in Deutschland auf 28-Jahres-Hoch

Die Inflation in Deutschland ist auf den höchsten Stand seit fast 28 Jahren gestiegen. Waren und Dienstleistungen waren im August durchschnittlich 3,9 Prozent teurer als im Vorjahresmonat, teilte das Statistische Bundesamt am Montag in Wiesbaden mit. Einen stärkeren Preisanstieg gab es zuletzt in der Zeit nach der Deutschen Wiedervereinigung. Im Dezember 1993 stieg die Teuerungsrate auf 4,3 Prozent. Dieser Rekord könnte fallen. „Wir bleiben auf dem Weg zu fünf Prozent Teuerung am Jahresende“, so Chefökonom Michael Heise von HQ Trust.

Energiepreise 12,6 Prozent höher als vor Jahresfrist

INFO-BOX:
Inflation
Inflation bezeichnet den allgemeinen Anstieg des Preisniveaus einer Ökonomie über einen bestimmten Zeitraum. Steigt das allgemeine Preisniveau, kann jede Geldeinheit weniger Güter und Dienstleistungen kaufen. Somit stellt die Inflation die Abnahme der Kaufkraft pro Geldeinheit dar, also den realen Wertverlust des Zahlungsmittels. Das Gegenteil der Inflation ist die Deflation (Rückgang des allgemeinen Preisniveaus).
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Im Juni dieses Jahres lag die Rate noch bei 2,3 Prozent, ehe sie im Juli sprunghaft auf 3,8 Prozent anstieg. Angeheizt wird die Teuerung seit Monaten durch die überdurchschnittlich steigenden Energiepreise. Während sich beispielsweise Nahrungsmittel im August im Jahresvergleich um 4,6 Prozent verteuerten, mussten Verbraucher fürs Heizen und Tanken nach Berechnungen des Bundesamtes 12,6 Prozent mehr zahlen als im Jahr zuvor. Im vergangenen Jahr waren die Rohölpreise im Zuge der Corona-Krise wegen geringer Nachfrage auf dem Weltmarkt eingebrochen. Inzwischen haben sie sich wieder erholt. Hinzu kommt, dass in Deutschland seit Januar 25 Euro je Tonne Kohlendioxid (CO2) fällig werden, das beim Verbrennen von Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas entsteht. Dies treibt die Energiepreise zusätzlich in die Höhe. Außerdem schlägt die Rücknahme der temporären Mehrwertsteuersenkung zwischen Juli und Dezember vergangenen Jahres nun voll zu.

„Ohne die Sondereffekte der Mehrwertsteuererhöhung, der Energiepreise und des ungewöhnlichen Sommerwetters läge derzeit die Inflation bei rund zwei Prozent“, so Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. „Hinzu kommen derzeit Lieferschwierigkeiten von Vorprodukten, die ebenfalls die Teuerung etwas nach oben treiben. Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW-Institut rechnet damit, dass sich die Lage erst Anfang kommenden Jahres wieder beruhigen dürfte. „Aber auch danach ist eine Rückkehr zu moderaten Inflationsraten unter zwei Prozent keineswegs sicher“. Das sehen auch viele Verbraucherinnen und Verbraucher so. In einer Umfrage des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) geht die Mehrheit der mehr als 2.000 Befragten davon aus, dass die Inflation hierzulande in den kommenden Jahren so hoch bleiben wird wie aktuell (33 Prozent) oder gar über fünf Prozent steigen wird (31 Prozent).

Beschäftigte müssen Reallohnverluste hinnehmen

Die Europäische Zentralbank (EZB), für die stabile Preise im Euroraum der 19 Länder das zentrale Ziel sind, hat sich mit ihrer neuen Strategie bereits mehr Flexibilität beim Umgang mit vergleichsweise hohen Inflationsraten verschafft. Sie strebt nun für den Währungsraum eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent an und ist dabei zumindest zeitweise bereit, ein moderates Über- oder Unterschreiten dieser Marke zu tolerieren. Besonders für Sparer die ihr Geld etwa auf nur noch minimal verzinsten Tagesgeldkonten parken, sind steigende Inflationsraten bitte. Ihre Guthaben verlieren dadurch unter dem Strich an Wert. Lohnsteigerungen, die diesen Effekt abfedern könnten, sind angesichts der Zurückhaltung in vielen Branchen wegen der Corona-Pandemie nicht in Sicht. Im Gegenteil. Im zweiten Quartal stiegen die Löhne der Tarifbeschäftigten hierzulande im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,9 Prozent. Da die Verbraucherpreise aber im gleichen Zeitraum um 2,4 Prozent zulegten, ergaben sich für die Beschäftigten sogar Reallohnverluste.