home Politik Verfassungsgericht: Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus komplett ungültig

Verfassungsgericht: Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus komplett ungültig

In Berlin muss die von zahlreichen Pannen geprägte Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt werden. „Die verbundenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen werden im gesamten Wahlgebiet für ungültig erklärt“, sagte die Präsidentin des Berliner Verfassungsgerichtshofs, Ludgera Selting, bei der Entscheidungsverkündung am Mittwoch.

Schwere systemische Mängel und Wahlfehler

Betroffen sind ist neben der Abgeordnetenhauswahl auch die Wahl zu den Bezirksverordnetenversammlungen, die am selben Tag stattfanden. Wie der Berliner Landeswahlleiter Stephan Bröchler gegenüber dem „Rundfunk Berlin Brandenburg“ (rbb) erklärte, wird die Wahl am 12. Februar 2023 wiederholt. Laut Gesetz hat das Land Berlin nach der Entscheidung vom Mittwoch lediglich 90 Tage Zeit, um die Wahl zu wiederholen. Die Vorgängerin Bröchlers, Petra Michaelis, war nach dem Wahlchaos im vergangenen Herbst zurückgetreten.

Der Berliner Verfassungsgerichtshof verwies in seiner Begründung auf „schwere systemische Mängel“ schon bei der Vorbereitung der Wahl sowie eine „Vielzahl schwerer Wahlfehler“ bei deren Durchführung. Diese seien mandatsrelevant gewesen, haben sich also auf die Zusammensetzung des Parlaments ausgewirkt. Der Grundsatz der Allgemeinheit, Gleichheit und Freiheit sei bei der Wahl verletzt worden. Als Beispiele führte Selting fehlende, falsche oder eilig kopierte Stimmzettel sowie fehlende Wahlurnen oder die zweitweise Schließung von Wahllokalen auf. In einem Teil der 2.256 Wahllokale hatten die Wähler auch noch nach deren offizieller Schließung um 18 Uhr abgestimmt.

Auch Teilwiederholung der Bundestagswahl möglich

INFO-BOX:
Berliner
Verfassungsgerichtshof
Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin nahm seine Arbeit im Mai 1992 auf. Das Gericht hat seinen Sitz in Berlin-Schöneberg. Neben Organstreit- und Normenkontrollverfahren gehören auch Verfassungsbeschwerden und Wahlprüfungen zu seinen Aufgaben.
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Nur durch eine komplette Wiederholung der Wahl ließe sich eine Zusammensetzung von Abgeordnetenhaus und Bezirksverordnetenversammlungen gewährleisten, die demokratischen Wahlen genüge, so Selting weiter. Die Entscheidung sei mit 7:2 Stimmen ergangen. Die Entscheidung hatten Beobachter so erwartet, nachdem das Gericht schon im September bei einer mündlichen Verhandlung zu dem Schluss gekommen war, dass angesichts der vielen Wahlpannen eine „vollständige Ungültigkeit“ der Wahl in Betracht komme. Insgesamt lagen 35 Einsprüche gegen die Wertung der Wahl vor. Davon verhandelte das Gericht zunächst vier Beschwerden (der Landeswahlleitung, der Innenverwaltung sowie der Parteien AfD und Die Partei).

Auch die Wahl zum Bundestag hatte am selben Tag wie die zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen stattgefunden. Ein Teil der Berlinerinnen und Berliner wird nun möglicherweise auch hier noch einmal zur Wahlurne gebeten. Der Bundestag beschloss in der vergangenen Woche auf Empfehlung eines Wahlprüfungsausschusses mit den Stimmen der Ampel-Koalition, dass in 431 Berliner Wahlbezirken noch einmal gewählt werden muss. Die Parteien im Bundestag gehen jedoch davon aus, dass der Beschluss vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten wird.

Grüne liegen in Berlin inzwischen vor SPD

In der heutigen Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofs sieht die Berliner CDU eine Niederlage für die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). „Es ist ein Tiefpunkt für das Ansehen Berlins in Deutschland und der Welt“, sagte der Generalsekretär der Hauptstadt-CDU, Stefan Evers. „Es ist eine schwere Niederlage für Frau Giffey und ihren Senat“. Bis zuletzt habe vor allem die SPD versucht, öffentlichen Druck auf das Verfassungsgericht auszuüben. Senator Andreas Geisel, zum Zeitpunkt der Wahl im September 2021 an der Spitze der zuständigen Innenverwaltung, ist bis heute im Amt. Evers forderte Giffey daher auf, endlich Verantwortung zu übernehmen und „ihren Pattex-Senator“ zu entlassen.

Gefährlich könnte die Wahlwiederholung auch für Giffey selbst werden. Letzten Umfragen zufolge liegen die Grünen in der Wählergunst inzwischen vor der SPD. Giffey könnte somit ihren Posten an die derzeitige Umweltsenatorin Bettina Jarasch verlieren. Auch hatte bei den SPD-Wählerinnen und -Wählern für Unmut gesorgt, dass sich die 44-Jährige im Wahlkampf für ein Bündnis mit Grünen und FDP eingesetzt hatte, nach der Wahl dann aber eine Koalition mit Grünen und Linken einging. Damit es zumindest nicht erneut zu Wahlpannen kommt, sollen 2023 mindestens 38.000 Wahlhelfer zum Einsatz kommen, 4.000 mehr als 2021. Diese sollen besser geschult und auch höher entlohnt werden. Außerdem will man in den Wahllokalen deutlich mehr Wahlurnen aufstellen.