home Wirtschaft Historischer Schritt gegen Inflation: EZB erhöht Leitzins um 0,75 Prozent

Historischer Schritt gegen Inflation: EZB erhöht Leitzins um 0,75 Prozent

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit einem historischen Zinsschritt auf die anhaltend hohe Inflation in der Eurozone reagiert. Sie hob am Donnerstag den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte auf jetzt 1,25 Prozent an. Eine derartige Anhebung hat es seit der Einführung des Euro-Bargelds nicht gegeben. Zudem stellten die Währungshüter weitere Zinserhöhungen in den kommenden Monaten in Aussicht.

EZB muss Inflations-Prognosen kassieren

INFO-BOX:
Leitzins
Der Leitzins ist das zentrale Element zur Steuerung der Geldpolitik und wird von einer Zentralbank im Rahmen ihrer Geldpolitik einseitig festgelegt. Er gibt an, zu welchem Zinssatz die Zentralbank mit ange-schlossenen Banken Geschäfte abschließt. Der EZB-Leitzins erreichte sein bisheriges Maximum mit 4,75 Prozent im Oktober 2000, seit März 2016 stand er bei 0,00 Prozent. Ab Juli 2022 erfolgte wieder eine schrittweise Anhebung auf aktuell 3,00 Prozent.
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Mit der Rekord-Zinsanhebung reagiert die Notenbank auf die ausufernde Inflation, die zuletzt im Euroraum einen Höchststand von 9,1 Prozent erreichte. Die EZB-Volkswirte gehen für das laufende Jahr von einer durchschnittlichen Teuerungsrate in der Euro-Zone von 8,1 Prozent aus. Noch im Juni lautete die Prognose auf 6,8 Prozent. Im kommenden Jahr werde die Inflation im Schnitt bei 5,5 Prozent liegen und 2024 auf 2,3 Prozent sinken.

„Der Preisdruck hat in der gesamten Wirtschaft weiterhin an Stärke und Breite gewonnen“, räumten die Währungshüter ein. „Getrieben wird die Inflation weiterhin von stark steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen, dem in einigen Sektoren herrschenden Nachfragedruck infolge der Wiedereröffnung der Wirtschaft sowie von Lieferengpässen“. Ökonomen halten allerdings ein noch deutlich höheres Zinsniveau für notwendig, um die Inflation wirksam zu bekämpfen. Mit höheren Zinsen kann die Notenbank steigenden Teuerungsraten entgegenwirken.

Im Juli hatte die EZB die Abkehr von ihrer jahrelangen Ära der Nullzinspolitik eingeleitet und die Zinsen erstmals seit 2011 erhöht, damals um 0,5 Prozentpunkte. Für viele Sparer war dies nach einer langen Phase der Negativzinsen eine wichtige Nachricht. Geschäftsbanken müssen nun nicht mehr 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken. Zahlreiche Banken nahmen dies zum Anlass, die sogenannten Verwahrentgelte für ihre Kunden abzuschaffen. Der sogenannte Einlagensatz steigt durch die heutige Zentralbank-Entscheidung auf 0,75 Prozent. Die EZB hatte die hohe Inflation lange Zeit als vorübergehend interpretiert und deutlich später als andere Zentralbanken die Zinswende eingeleitet. Die US-Notenbank Fed beispielsweise hat ihre Leitzinsen bereits mehrfach nach oben geschraubt, dabei zweimal um je 0,75 Prozentpunkte.

IfW sieht Deutschland 2023 in Rezession schlittern

Die Europäische Zentralbank strebt im gemeinsamen Währungsraum mittelfristig ein stabiles Preisniveau bei einer Jahresteuerung von zwei Prozent an. Allerdings geht unter den Währungshütern auch die Sorge um, mit einer zu schnellen Normalisierung der zuvor jahrelang ultralockeren Geldpolitik die Konjunktur abzuwürgen. Diese hat ohnehin mit Lieferengpässen und den Folgen des Ukraine-Krieges zu kämpfen. Die Notenbank behält sich daher vor, über Anleihekäufe hoch verschuldeten EU-Staaten unter die Arme zu greifen.

In manchen EU-Ländern wie beispielsweise Estland liegt die Inflationsrate inzwischen bei über 20 Prozent. Zweistellig sind auch die Niederlande mit 13,1 und Spanien mit 10,3 Prozent. Für Deutschland prognostizierte das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel am Donnerstag in seiner Herbstprognose für 2023 eine Rezession. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpft nach den Berechnungen der Forscher um 0,7 Prozent. „Mit den hohen Importpreisen für Energie rollt eine konjunkturelle Lawine auf Deutschland zu“, erklärte IfW-Vizepräsident Stefan Kooths. Schon jetzt fahren Unternehmen wegen hoher Energiepreise aber auch wegen fehlender Komponenten Teile ihre Produktion zurück. Bekannte Firmen wie der Schuhhersteller Görtz oder der Papierhersteller Hakle mussten gar Insolvenz anmelden. Auch die sozialen Auswirkungen sind gravierend, denn vor allem Haushalte mit geringem Einkommen sind angesichts der massiv steigenden Lebenshaltungskosten in ihrer Existenz bedroht.